„Auf Befehl der Militärregierung….“

Fingerabdrücke sind bei jedem Menschen individuell und für die Arbeit der Polizei auch heute nicht wegzudenken. Das FBI besaß bereits Ende der 1940er Jahre über 100 Millionen Fingerabdrücke von verurteilten Verbrechern, Verdächtigen, von Mitarbeitenden im militärischen Bereich und Ausländerinnen und Ausländern. Das Bundeskriminalamt verarbeitete 2024 rund 1,1, Millionen Fingerabdrücke. Und auch im Stadtarchiv findet sich eine Sammlung von 418 dicht gefüllten Archivboxen mit Fingerabdrücken der Münchner Bevölkerung. Fingerabdrücke im Archiv? Auf den ersten Blick mag das verwundern. Die Hintergründe für diese archivische Quelle führen in den Sommer 1945.

Eine Radiodurchsage für die Münchner Bevölkerung

Den Alltag der Menschen prägen im Sommer 1945 existentielle Fragen: Essen, Wohnraum, Sorge um Angehörige, persönliche Sicherheit, Zukunftsangst. In dieser Situation hören die Münchnerinnen und Münchner im Rundfunk oder lesen auf Plakaten in der Stadt von einer Anordnung der Militärregierung, deren Durchführung am Montag, den 2. Juli beginnen soll: Alle Deutschen ab dem 12. Lebensjahr, die in München und im Landkreis München wohnen, müssen sich erfassen lassen.

Die Tage, wann sich wer mit welchem Anfangsbuchstaben seines Familiennamens melden muss, sind genau festgelegt. Die Registrierung erfolgt bei den für die Wohnadressen zuständigen Polizeirevieren. Verantwortlich für die korrekte Durchführung der gesamten Registrierungsmaßnahme ist das Polizeipräsidium München. Die Stadt München ergänzt diese Anordnung auf Anregung des damaligen Stadtrates Thomas Wimmer noch durch eine weitere Maßnahme, die die Bevölkerung spätestens am 1. Juli 1945 ebenfalls im Radio hören kann:

Gleichzeitig mit der angeordneten Registrierung der Bevölkerung in der Zeit vom 2. Juli bis 20 Juli 1945 werden alle deutschen Männer und Frauen erfasst, die zu irgendeiner Zeit der Partei oder ihren Gliederungen (…) angehörten und die derzeit in München wohnen oder sich aufhalten, soferne sie am 20. Juli 1945 (…) über 18. Jahre alte waren.“

Amerikanische Befehle treffen auf deutsche Gründlichkeit

Ende Juli präzisiert die Militärregierung den Personenkreis nochmals in einer eigenen Klarstellung. Die Registrierung betrifft alle Personen ab 12 Jahren außer diejenigen, die sich zu dem Zeitpunkt in einem Displaced-Person-Camp (Lager für Zivilpersonen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten) oder anderen geschlossenen Unterkünften befinden. Eine Mammut Aufgabe für die Polizeireviere, die sich wie die restliche Stadt- und Staatsverwaltung nach dem Zusammenbruch und der Entlassung von belasteten Mitarbeitenden erst langsam wieder im Aufbau befindet. Dennoch wird die Maßnahme mit Richtlinien, Formblättern, Plänen und Vermerken und einem definierten Workflow durchgeführt. Von der Anzahl der Ausfertigungen bis zur Berichtspflicht z.B. über die Anzahl der täglich erledigten Registrierungen ist alles geregelt.

Vermutlich zur Entlastung der Polizei müssen sich die Reviere zum Beispiel nicht um die Erfassung des Personals der Stadtverwaltung und des Bayerischen Innenministeriums kümmern. Dies ist von städtischen Dienststellen zu übernehmen.

Am 28. Juli 1945 meldet das Polizeipräsidium an die Militärregierung, dass 449922 Personen erfasst sind, was rund 99 Prozent der Münchner Bevölkerung über 12 Jahre entspricht. Eine wichtige Zahl, wenn es beispielsweise darum geht, als Besatzungsmacht und Verwaltung die Menschen mit dem Überlebensnotwendigen zu versorgen, die Ausgabe von Lebensmittelkarten zu steuern oder die Mobilität der Bevölkerung zu kontrollieren.

Ein Zettel mit erheblicher Brisanz

Jede Person bekommt als Ergebnis ihrer Registrierung einmalig einen sog. Registrierschein ausgehändigt, eine zweite Ausfertigung bleibt bei der Verwaltung. Und dafür nimmt ein amerikanischer Soldat von jedem einzelnen die Fingerabdrücke. Aus heutiger Sicht wirkt dieses Papier wie ein unscheinbarer Zettel: mit minimalen Angaben teilweise auf dünnem Papier oder auf den Rückseiten von Militärlandkarten erstellt. Doch die äußere Form darf nicht über die Relevanz dieser Dokumente für den Alltag der Menschen hinwegtäuschen. Dies verdeutlicht die Sorge von Franz Kretzler, Monteur bei der Maschinenfabrik Krauss-Maffei im Oktober 1945, die er beim Polizeiamt West vorbringt:

„Ich bin in Augsburg wohnhaft und befinde mich z.Zt. auf Montagearbeiten in der Maschinenfabrik Krauss-Maffei, München-Allach. (…). Am 8.10.1945 (…) ging ich am neuen Schulhaus in Allach (…), in dem z.Zt. amerikanische Soldaten im Quartier liegen. Dort wurde ich von 2 (…) amerikanischen Soldaten angehalten und kontrolliert. Die beiden Soldaten nahmen mir meinen Registrierschein ab, weil er nicht in München, sondern in Augsburg ausgefertigt ist. Als Grund wurde angeführt, weil ich mich über 20 km von Augsburg entfernt hätte. Im Fall einer abermaligen Kontrolle bin ich ohne Registrierungsschein und muss dieserhalb eventuell mit meiner Festnahme rechnen. (…)“

Für den Monteur ging die Angelegenheit gut aus. Er bekam anstandslos einen neuen, da die Beschlagnahmung durch die US-Soldaten mittlerweile zu Unrecht erfolgt war.

Hoher Verlust

Im Herbst 1945 beklagen die Polizeireviere, dass Personen den Verlust ihrer Registrierungsscheine melden und um Zweitschriften bitten. Zu diesem Zeitpunkt gehen die Behörden noch von Unachtsamkeit aus und regen an, für die Ausstellung von Duplikaten eine Gebühr von fünf Mark zu verlangen. Passiert ist scheinbar nichts. Denn das Problem besteht im Frühjahr 1946 weiterhin. Mittlerweile erklärt sich die Polizei den hohen Schwund der Registrierungsscheine anders. Ein Bericht der Schutzmannschaft vom März beispielsweise hält dazu fest. „Es muss angenommen werden, (…) daß diese Personen ihre Registrierscheine gegen irgendwelche Entschädigungen an andere abgeben, die entweder falsche Papiere dringend brauchen, um damit Betrügereien auszuführen oder sich aus politischen oder sonstigen Gründen unter ihren richtigen Namen verborgen halten wollten“. Abhilfe erhoffen sich die Ordnungshüter dadurch „entsprechend hohe Gebühren“ für die Ersatzpapiere zu verlangen und die Duplikate in die Fahndungskartei aufzunehmen.

Karten im ursprünglichen Zustand in Metallkästen

Registrierungskarten im Stadtarchiv

Da ab 1945 aus der Polizei als bisher staatlichen Behörde eine städtische Dienststelle geworden war und die bisherigen polizeilichen Zuständigkeiten im Meldewesen an das Kreisverwaltungsreferat übergegangen waren, kamen die ursprünglich bei der Polizei verbliebenen Exemplare der einzelnen Registrierungsscheine in das Stadtarchiv. Die Dokumente befanden sich in ca. 340 originalen Karteikästen. Dabei handelte es sich entweder um offene Metallschubladen oder Pappkästen mit Deckel. Die einzelnen Dokumente waren nicht nur teilweise stark mit Staub verschmutzt, sondern wiesen zusätzlich Stockflecken auf. Zwischen 2010 und 2016 bearbeitete das archivische Fachpersonal die Registrierungsscheine, um weitere Beschädigungen und Papierzerfall zu stoppen. Diese wurden abgesaugt, teilweise mit einem Latexschwamm gesäubert und in säurefreie Archivboxen umgelegt.
Ein Exemplar einer Originalen Metallschublade befindet sich heute noch im Stadtarchiv.

Leerer Metallkasten im Stadtarchiv heute
Leerer Metallkasten im Stadtarchiv heute

Pumuckl-Stars registriert

Wer sich auf die Suche nach Münchnerinnen und Münchnern macht, die sich damals in der Stadt aufhielten, dem helfen diese Registrierungskarten weiter und er kann interessante Entdeckungen machen. So findet sich der Registrierungsschein des zunächst ab August 1945 als Bürgermeister fungierenden und später zum Oberbürgermeister gewählten langjährigen Stadtrates Thomas Wimmer in einem der Kästen.

Aber auch spätere Fernsehprominente sind zu finden, wie zum Beispiel die Pumuckl-Stars Gustl Bayrhammer und Erni Singerl. Bei der Suche nach dem Pumuckl bzw. seiner Schöpferin zeigt sich, dass das Finden in den Registrierungsscheinen kompliziert sein kann. Wer die Boxen nach Ellis Kaut durchstöbert, bleibt leider erfolglos. Denn sie wurde unter ihrem Ehenamen Elisabeth Preis, geb. Kaut registriert.

.Alle Originalzitate aus DE-1992-EWA-397

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