Skandal um Josy

Eine außergewöhnliche Frau erobert Europa

Am 12. April 1975 stirbt die Frau, die im Oktober 1925 mit ihrem ersten Auftritt in Paris das Publikum in ganz Europa verzauberte. Die US-amerikanischen Tänzerin und Sängerin Josephine Baker führte das erste Mal live in Europa einen neuen Tanz aus Amerika vor, den Charleston. Der Tanz war für die damalige Zeit außergewöhnlich und noch viel mehr die Tänzerin: Sie besaß nicht nur eine schwarze Hautfarbe, sondern ihr Auftrittskostüm bestand teilweise lediglich aus einem Lendenschurz mit Bananen – ein Skandal für die zeitgenössisch konservativen Kreise.

Porträt von Josephine Baker, 1950
Porträt von Josephine Baker, 1950, DE-1992-FS-PER-B-0037-01

Spurensuche

Doch was haben diese Ereignisse in den 1920er Jahren mit dem Stadtarchiv München zu tun? Wer sich auf Spurensuche nach Josephine Baker begibt, findet im Stadtarchiv Bilder, Plakate und Zeitungsausschnitte.

Josephine Baker in einem weißen Abendkleid und einem weißen Fächer
Auftritt von Josephine Baker 1950 im Kongresssaal des Deutschen Museums, DE-1992-FS-PER-B-0037

Mittlerweile ein Weltstar, trat sie seit 1950 bis Anfang der 1970er Jahre mehrfach in München auf. Und wer weiter gräbt, stößt auf einen Skandal, den sich München gegenüber der Tänzerin geleistet hat und der führt zurück in das Jahr 1929.

Josephine Baker bei einem Auftritt im Deutschen Theater, 1953
Josephine Baker bei einem Auftritt im Deutschen Theater, 1953, DE-1992-FS-ERG-H-0809

Aufregung quer durch Europa

Was sich in München 1929 rund um die Künstlerin ereignet, erlebt sie in ähnlicher Weise in anderen deutschen und europäischen Städten. Neben Paris sind ihre Auftritte beispielsweise in Brüssel, Budapest und Wien oder in Berlin, Köln, Stuttgart und Frankfurt umstritten und schlagen Wellen bis in höchste politische und kirchliche Kreise.

So berichten die Zeitungen von aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Maßnahmen: Sie hat Auflagen hinsichtlich ihres Kostüms einzuhalten, in Budapest muss Josephine Baker zunächst vor einer „Kommission sittlich gefestigter maßgebender Herren“ auftreten, die anschließend keine Bedenken mehr gegen ihr Programm haben. Trotzdem kommt es zu Unruhen; männliche Studenten stören die Vorstellung mit Stinkbomben, was eine Unterbrechung notwendig macht.

Auch in Wien bleiben im Vorfeld ihres Auftrittes Proteste und Diskussionen nicht aus. Immerhin findet sich ein Kompromiss: Ab März 1929 ist sie, statt in einer Solo-Show im Theater Ronacher, in einer Revue im Johann-Strauß-Theater zu sehen. Und die katholische Kirche hält in der Donaustadt eigens Bußgottesdienste für diese schweren Moralverstöße ab. In Warschau lässt man es gar nicht so weit kommen; Josephine erhält dort ein Auftrittsverbot.

Was passiert in München?

Hans Gruß, der damalige Direktor des Deutschen Theaters, hat den amerikanischen Star in Berlin gesehen und miterlebt, welche Begeisterung sie mit ihrem Tanz und Ausdruck beim Publikum ausgelöst hat. Er möchte sie nach München holen. Plakate in der Stadt kündigen Anfang 1929 ihren Auftritt an.

Porträt von Hans Gruß
Porträt von Hans Gruß, ca. 1950, DE-1992-FS-PER-G-321-01

Bis zum 20. Februar ist sie für fünf Veranstaltungen in einem Varietéprogramm von einheimischen und ausländischen Künstlern eingeplant. Doch es soll anders kommen. Die bayerischen Behörden wollen ähnlich zu erwartende Proteste und Szenen aus konservativen und völkischen Kreisen wie in anderen Städten vermeiden.

Hierbei spielt es keine Rolle, ob sie bei ihrem Auftritt vorrangig in einem dem Zeitgeist entsprechend angemessenem Kostüm singt oder leicht bekleidet tanzt.: Am 14. Februar verbietet die Polizeidirektion München den Auftritt von Josephine Baker im Deutschen Theater, „weil durch das Auftreten eine Verletzung des öffentlichen Anstandes und damit der öffentlichen Ordnung zu erwarten gewesen wäre“, berichten die Münchner Neuesten Nachrichten am 15. Februar 1929. Sorge um Ruhestörung wie in Wien oder die Fastenzeit sind es nicht, die die Ordnungshüter zu diesem Schritt bewegen. Als Hauptgrund wird ihr Ruf angeführt sowie die Kombination aus Hautfarbe und fast nackter Bühnenperformance in anderen Städten. Außerdem gilt sie als impulsiv und schwer kalkulierbar.

Deshalb wollte man es nicht darauf ankommen lassen, das Gastspiel etwa unter bestimmten Auflagen zu gestatten, um dann durch das Auftreten der Tänzerin zu einem nachträglichen Verbot gezwungen worden zu sein, das unliebsamere Folgen hätte, als das Verbot im vornhinein.“

Münchner Neueste Nachrichten

Plakat zum Auftritt von Josephine Baker zusammen mit anderen Künstlern, 1929, DE-1992-PL-12012

Das Ende vom Lied

Die konservative und völkische Presse bejubelt die Entscheidung. Der Direktor des Deutschen Theaters ist fassungslos. Er legt bei der Regierung von Oberbayern Beschwerde ein. Denn, so seine Argumentation, es sei in München kein obszöner Auftritt geplant gewesen. Außerdem gebe es keine Belege, dass Josephine Baker in Deutschland jemals nackt getanzt habe. Hans Gruß droht, das Deutsche Theater zu schließen, sollte es bei diesem Verbot bleiben. Sein Einspruch bleibt erfolglos: Die Regierung bestätigt die Maßnahme der Polizei und Hans Gruß schließt nicht das Theater, sondern kümmert sich um Ersatz. Dem Vorschlag der Münchner Post, als „Baker-Ersatz“ andere „gliederverrenkende Tänze“, nämlich politische Dauerthemen wie den Reich-Länder-Finanzausgleich und die Staatsvereinfachung (heute: Bürokratieabbau), ins Deutsche Theater zu verlegen, folgt der Direktor nicht. Stattdessen kann er Vroni Meisinger, eine oberbayerische Koloratursängerin, für ein Gastspiel verpflichten.

Zeitungsartikel der Welt am Sonntag vom 24.02.1929: "Baker-Ersatz. Nachdem die Direktion des Deutschen Theaters auf Josefine Baker im Ringkampf mit den Behörden verzichten mußte, verpflichtete sie Vroni Meisinger, oberbayerische Koloratursängerin für ein 14 tägiges Gastspiel. Großzügigerweise verzichtete die Polizeidirektion München, trotz anfänglicher Bedenkenwegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit, auf einen Kropfbekleidungszwang." Darüber eine Karikatur: eine mollige Frau im Dirndl singt vor einer Berglandschaft, am Bühneneingang steht ein wütender Herr im Anzug.
Zeitungsartikel der Welt am Sonntag vom 24.02.1929: „Baker-Ersatz.“

Wo ist Josephine Baker?

Die Künstlerin hält sich trotz des Wirbels um ihre Person in dieser Zeit zwei Tage in München auf und wohnt im Hotel Regina Palast. Hans Gruß hat sie scheinbar gebeten zu kommen. Wahrscheinlich hoffte er noch bis zuletzt darauf, dass das Auftrittsverbot zurückgenommen werde.

Hotelfoyer mit Glasdach, Sesseln und Palmen
Innenansicht des Foyers im Hotel Regina Palast mit Sesseln und Palmen, um 1930, DE-1992-FS-STB-5116

Josephine Baker im Stadtarchiv München

Material zu Josephine Baker befindet sich heute im Stadtarchiv sicher und nach archivfachlichen Standards verwahrt. Vieles zu diesem Skandal ist schon bekannt. Doch manche Dokumente sind noch nicht veröffentlicht. Dazu zählt das gezeigte Plakat mit dem Titel: „Der Triumph der Eitelkeit – Das große Fest des Münchner Bundes im Deutschen Theater“.

Der Körper einer nackten schwarzen Frau wird nur durch einen blauen Pfau und einem weißen Teller in der Hand der Frau verdeckt
Plakat „Triumph der Eitelkeiten“ zum großen Fest des Münchner Bundes im Deutschen Theater 1929 mit Anspielung auf Josephine Baker

Es lohnt sich, in die Originalquellen im Stadtarchiv einzutauchen. Diese liefern nicht nur Informationen über vergangene Fakten. Sie spiegeln auch authentisch den Zeitgeist von damals wider. Die Presseberichterstattung über Josephine Baker zeigt beispielsweise den damals selbstverständlichen Rassismus, der in der Wortwahl nicht nur der völkischen, nationalen und konservativen Presse, sondern selbst in liberalen bis linken Zeitungen zu finden war.

Schreibtisch, auf dem ein Akt zum Deutschen Theater, Fotos von Josephine Baker und verschiedene Zeitungsartikel drapiert sind
Unterschiedliche Archivalien zu Josephine Baker

Nachtrag: Der Münchner Merkur hat zum 50. Todestag von Josephine Baker einen Artikel auf Grundlage der Quellen im Stadtarchiv veröffentlicht.

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