Als Archiv-FaMI im Standesamt

Ältere Registerbücher aus dem Standesamt, untergebracht in einem Regalfach im Stadtarchiv München.
Personenstandsregisterbücher aus dem Standesamt im Stadtarchiv München

Letzten Sommer war ich zum Praktikum im Münchner Standesamt.

Der erste deutliche Unterschied zum Stadtarchiv, der mir auffiel, waren die Lektriver. Das sind elektrische Bücherregale, die man per Knopfdruck hoch und runterfahren kann. Diesen Mechanismus kann man sich wie ein Riesenrad vorstellen, das man durch ein Fenster betrachtet. Die Gondeln entsprechen den einzelnen Regalbrettern. Der Blick durch das Fenster ist das, was man von der Anlage sehen kann.

Wenn die Anlage angeschaltet ist, wirkt es, als würde eine Unendlichkeit an Büchern aus dem Boden fahren, ein selten schöner Anblick.

Zwei weitere deutliche Unterschiede zum Archiv, die mir im weiteren Verlauf meines Praktikums begegneten, sind:

Zum einen – das mag jetzt makaber klingen, soll es aber nicht – die Menschen, um die es geht, leben größtenteils noch. Im Archiv bin ich es gewohnt Geburtsregistereinträge von 1897 oder Sterberegistereinträge aus den 1980ern zu suchen. Im Standesamt dagegen rufen Menschen an, die eine Geburtsurkunde brauchen, weil sie heiraten möchten (und offensichtlich noch leben).

Zum anderen: man darf, nein man muss sogar, in Bücher schreiben. Mit Kugelschreiber. Im Archiv dagegen, ist es unter nahezu allen Umständen untersagt in Archivalien (z. B. Registerbücher) rein zu schreiben. Es gibt spezielle Ausnahmen, zum Beispiel für die Rückseiten von Fotos, aber für diese und für alles andere darf nur ein Bleistift verwendet werden. Wenn überhaupt.

Die Registerbücher im Standesamt sind noch keine Archivalien. Das heißt, dass sie auch nicht wie Archivalien behandelt werden.

Eine meiner Aufgaben im Standesamt war es, Kinder in Geburtsregistereinträgen zu vermerken. Das bedeutet: Die Person, von der der Geburtsregistereintrag handelt, hat ein Kind bekommen, die Registernummer des Kindes wird mit Kugelschreiber vermerkt.

Als Archiv-FaMI, dem man beigebracht hat, nichts – und noch weniger mit Kugelschreiber – in Registerbücher zu schreiben, kostet es einiges an innerer Überwindung einen solchen Arbeitsauftrag auszuführen.

Nach insgesamt 183 eingetragenen Kindern kann ich sagen, dass mir diese Aufgabe definitiv Spaß macht. Das Maß an Konzentration, dass man dafür braucht, ist allerdings alles andere als gering und es ist auf Dauer auch echt anstrengend.

Vor diesem Praktikum war mir nicht bewusst, wie unterschiedlich das Lebensalter ist, in dem Menschen Kinder bekommen. Die Altersspanne reichte von unter 20 bis ungefähr Mitte 50. Das an einzelnen Fällen zu sehen, war etwas ganz anderes, als es in einer Statistik zu lesen.

Wenn jemand geboren wird, heiratet oder stirbt, bekommt diese Person einen entsprechenden Registereintrag. So steht zum Beispiel in Geburtsregistereinträgen unter anderem, wer das Kind wann und wo geboren hat und wie es heißt. Jeder dieser Einträge hat eine eigene Nummer.

Unausgefülltes und durchgestrichenes Formular für den Eintrag einer Geburt im Geburtsregister des Standesamt, circa 1890.
Ein leerer, durchgestrichener Geburtsregistereintrag aus den 1890er Jahren.

Geburtsregistereinträge kommen nach 110 Jahren ins Archiv, Heiratsregistereinträge nach 80 und Sterberegister nach 30 Jahren. Bis dahin verbleiben die Registereinträge im Standesamt. In dieser Zeit können auch Eintragungen oder Berichtigungen vorgenommen werden, wie zum Beispiel die genannten Kindervermerke.

Nicht nur Kinder, auch Eheschließungen und Todesfälle werden eingetragen beziehungsweise eingestempelt. Die neueren Registerbücher haben eigene Zeilen für entsprechende Eintragungen. Die älteren nicht, sie werden gestempelt.

Das Einstempeln und Eintragen von Toten ging mir in den meisten Fällen emotional nicht so nah, wie ich befürchtet hatte. Man konnte ausrechnen, dass viele Ende 80 oder noch älter geworden sind und ein langes Leben hinter sich hatten. Bei den zwei Fällen, die im Kindes- beziehungsweise Jugendalter verstorben waren, wurde mir dann aber doch unwohl.

Kommen wir zu etwas angenehmerem: Eheschließungen.

Am vorletzten Tag meines Praktikums durfte ich bei einer Trauung dabei sein. Also ich dachte, es würde sich um eine Trauung handeln. Jedoch stellte sich heraus, dass ein Standesbeamter im Normalfall einen Block von sechs Trauungen am Stück abhält. Die erste Trauung war eine Trauung mit Dolmetscher, daher war für diese Trauung die doppelte Zeit eingeplant. Für jede weitere Trauung waren 15 Minuten eingeplant.

Verheiratet ist man übrigens ab dem Zeitpunkt, ab dem man „Ja“ sagt, nicht sobald man unterschrieben hat. Falls einer der frisch Getrauten sich weigern würde zu unterschreiben, würde der Standesbeamte dies vermerken, aber die Ehe wäre gültig.

Falls jemand auf die Frage, ob man den oder die andere aus freiem Willen zum Ehepartner nehmen will, mit „Nein“ antwortet, so kann diese Ehe an diesem Tag nicht mehr geschlossen werden. (Ja, das kam schon vor.)

Während dieses Praktikums habe ich Wissen erlangt und Texte gelesen, von denen ich nie gedacht hätte, sie einmal zu Gesicht zu bekommen. Neben vielen anderen spannenden Akten stolperte ich über das Protokoll einer Scheinehebefragung, Gesetzestexte über Eheschließungen aus anderen Ländern und die anfangs genannten wunderbaren Lektriver.

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