München in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts: die bayerische Landeshauptstadt ist Gastgeberin von zwei der größten Sportereignisse der Welt: 1972, vor genau 50 Jahren, veranstaltete München die Olympischen Spiele, die die Stadt über die zwei Wochen im Sommer ´72 hinaus nachhaltig prägen sollten. Zwei Jahre später, 1974, wurde das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in der Landeshauptstadt ausgetragen.
Zur Geschichte Münchens in den 1970er Jahren gehören aber nicht nur glanzvolle Sportereignisse, sondern auch der Terror, der sich insbesondere gegen Juden und Israelis richtete: Das Attentat auf die israelischen Sportler im olympischen Dorf während der Spiele 1972, der Anschlag auf eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al am Flughafen München Riem zwei Jahre zuvor, im Februar 1970, und der Brandanschlag auf ein Altenzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde in der Reichenbachstraße 27, ebenfalls im Februar 1970, sind gleichermaßen bekannte und schreckliche Beispiele.
Möchte man sich heute mit diesen Ereignissen wissenschaftlich auseinandersetzen, führt an den Akten aus dem Bestand „Direktorium – Zentrale Registratur“ (DIR-ZR) im Stadtarchiv München kein Weg vorbei. Das Direktorium als Dienststelle der Landeshauptstadt München ist direkt dem Oberbürgermeister unterstellt und unterstützt ihn, die Bürgermeister*innen und den Stadtrat in ihrer Arbeit. Die Tätigkeit der Münchner Stadtspitze findet ihren schriftlichen Niederschlag in den Akten der Zentralen Registratur des Direktoriums, die daher zu allen wichtigen Aspekten der Münchner Stadtgeschichte seit 1945 Unterlagen und Informationen liefern können.
Derzeit läuft im Stadtarchiv München ein Projekt zur Erschließung dieser Akten. Auf Basis eines Werkvertrags verzeichnet und verpackt Frau Elisabeth Höhensteiger Unterlagen, die seit den 1970er Jahren von der Zentralen Registratur des Direktoriums an das Stadtarchiv abgegeben wurden.
Die Aktenüberlieferung aus dem Direktorium
Die ältere Aktenüberlieferung des Direktoriums beziehungsweise der Münchner Bürgermeister und Stadträte, vom Mittelalter bis in die Nachkriegszeit Mitte des letzten Jahrhunderts, ist im Bestand „Bürgermeister und Rat“ (BUR) zusammengefasst. Dieser Bestand ist in der Datenbank des Stadtarchivs vollständig erschlossen und kann über die online-Recherche durchsucht werden.
Die jüngere Überlieferung aus dem Direktorium ist im Stadtarchiv dagegen in mehrere Bestände aufgeteilt. Neben der Zentralen Registratur führen einige Dienststellen, die dem Direktorium zugeordnet sind, etwa das Statistische Amt oder die Gleichstellungsstelle für Frauen, eine eigene Registratur zur Aufbewahrung ihrer Akten. Entsprechend bildet deren Überlieferung eigene Bestände im Stadtarchiv. Die Verwaltungsstellen im Direktorium aber, die direkt dem/der Oberbürgermeister*in sowie den Bürgermeister*innen zuarbeiten, allen voran deren Büros, unterhalten eine gemeinsame Registratur. Ihre Überlieferung bildet den Bestand „Direktorium – Zentrale Registratur“ im Stadtarchiv.
Der Oberbürgermeister und seine Vertreter*innen, die 2. und 3. Bürgermeister*innen, übernehmen repräsentative Aufgaben. Sie sitzen in verschiedenen Gremien. Als Stadtspitze ergreifen sie politische Initiativen und arbeiten mit den Fachreferaten zusammen. Die Akten ihrer Büros und der ihnen zuarbeitenden Dienststellen enthalten daher Vorgänge und Unterlagen zu allen bedeutsamen stadtpolitischen Themen, von Fragen der Gesundheit und des Umweltschutzes, über die Sozial- und Kulturpolitik bis hin zu Großereignissen, wie den Olympischen Spielen 1972. Der Bestand „Direktorium – Zentrale Registratur“ ist damit einer der wichtigsten Bestände für die Erforschung der Stadtgeschichte Münchens seit 1945.
Aussonderung, Bewertung und Erschließung
Die Registratur im Direktorium bietet dem Stadtarchiv in unregelmäßigen Abständen Akten, die für die laufenden Verwaltungsgeschäfte nicht mehr benötigt werden, zur Übernahme an. Die Archivar*innen bewerten dann im 4-Augen-Prinzip die angebotenen Unterlagen. Das heißt, sie entscheiden, welche Akten übernommen und damit dauerhaft archiviert werden und welche Akten kassiert, d.h. vernichtet werden können. Diese Entscheidung erfolgt mit Blick auf den Wert der Unterlagen, den sie etwa für die Erforschung der Stadtgeschichte oder für die Rechtsposition der Stadt haben können. Während von vielen anderen Dienststellen nur 5-10 % der angebotenen Unterlagen als archivwürdig bewertet werden, sind es bei den Unterlagen aus dem Direktorium auf Grund der Bedeutung der Akten-Produzenten, also des Oberbürgermeisters/der Oberbürgermeisterin und seiner/ihrer Stellvertreter*innen, bis zu 50 %.
Die als archivwürdig klassifizierten Akten werden von der Registratur in Abgabelisten erfasst und zusammen mit den Akten an das Stadtarchiv abgegeben. Die Abgabelisten enthalten neben dem Aktenzeichen nur einen kurzen Aktenbetreff und die Laufzeit der Akte. Bisher konnten Forscher*innen allein über die Einsicht dieser Listen vor Ort im Lesesaal des Stadtarchivs nach Unterlagen im Bestand „Direktorium – Zentrale Registratur“ recherchieren.
Bei der Erschließung in der Nachweisdatenbank des Stadtarchivs wird dagegen zu jeder Akte ein Datensatz, eine sogenannten Verzeichnungseinheit (VE), angelegt, die weit mehr Informationen enthält als das Aktenzeichen, den Aktenbetreff und die Laufzweit. Die VE hat in der Regel einen ausführlichen „Enthält-Vermerk“, der den Inhalt der Akte zusammenfassend beschreibt. Zu dort oder im Titel genannten Personen, Institutionen und Ortschaften werden zudem, soweit vorhanden, die Links zur deutschen Normdatenbank, der GND, hinterlegt.
Recherche in scopeQuery
Nach der Erschließung können die VEs zu den Akten über die Webanwendung scopeQuery weltweit online recherchiert werden: https://stadtarchiv.muenchen.de/. Es ist eine systematische Suche über die inhaltliche Gliederung des Bestands, die sogenannte Klassifikation, möglich. Oder man nutzt die Volltextsuche, um nach Begriffen zu recherchieren, die in der VE zur Beschreibung der Akte genutzt wurden.
München in den 60er und 70er Jahren
Die bereits erschlossenen und derzeit zur Erschließung anstehenden Akten stammen insbesondere aus den 1960er und 70er Jahren, also den Amtszeiten der Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (1960-1972) und Georg Kronawitter (1972-1978).
Sie enthalten zum einen Unterlagen über die Stadtspitze selbst und über deren repräsentative Aufgaben. So sind beispielsweise zu einzelnen Bürgermeistern und Stadträten „Personalakten“ mit Dokumenten zu deren Lebenslauf überliefert. Auch Unterlagen über die Verleihung von Auszeichnungen, über die Ausrichtung von Empfängen und Festveranstaltungen sind zu finden. Und ebenso sind die Beziehungen der Stadtspitze zu nationalen und internationalen Institutionen, ausländischen Regierungen und anderen Kommunen in den Akten abgebildet.
Zum anderen enthält der Bestand Akten zu allen Aufgabenfeldern, mit denen eine Kommune der Größe Münchens seit den 1950er betraut war. Dazu gehörten in der bayerischen Landeshauptstadt bis zur Mitte der 1970er Jahre auch polizeiliche Aufgaben. München verfügte nach 1945 über eine eigene Stadtpolizei, die erst 1975 verstaatlicht wurde. Entsprechend enthält der Bestand eine breite Überlieferung zu den Themen Öffentliche Ordnung und Sicherheit. Neben Akten über die Verstaatlichung der Stadtpolizei finden sich dabei unter anderem Unterlagen zu den Schwabinger Krawallen 1962 in München und der 68er Bewegung.
Stadtarchiv München, DE-1992-DIR-ZR-0709
Eine wichtige Herausforderung der 1960er und 70er Jahre war für die Münchner Stadtverwaltung das Bevölkerungswachstum, auch durch die Migration ausländischer Arbeitnehmer. Entsprechend umfangreich ist die Aktenüberlieferung im Bestand zu den Themen Stadtentwicklung, Stadtplanung und Wohnungsbau. Eine bedeutende Quelle ist etwa der erste Stadtentwicklungsplan Münchens von 1963 und sein Nachfolger von 1975. Beispielhaft erwähnt seien auch die Akten, die zu einem der größten und bedeutendsten Siedlungsprojekt der 1960er und 70er Jahre, zu Neuperlach, überliefert sind. Dagegen lässt sich der Widerstand der Bevölkerung gegen einzelne Bauprojekte und das in den 60er und 70er Jahren wachsende bürgerschaftliche Engagement vor allem in den überlieferten Unterlagen zu den Bezirksausschüssen und Bürgerversammlungen nachvollziehen.
Natürlich enthält der Bestand auch Akten zu allen weiteren kommunalen Tätigkeitsfeldern. Genannt sei hier zum einen noch die Sozialpolitik, die in der Nachkriegszeit insbesondere durch die Unterstützungsleistungen an Kriegsopfer und Verfolgte des NS-Regimes, an Flüchtlinge und Vertriebene geprägt war. Zum anderen sei die umfangreiche Überlieferung zu den Themen Haushalt und Wirtschaft erwähnt, mit zahlreichen Akten zur Haushaltsplanung, mit Unterlagen über die Beziehung zu in München ansässigen Unternehmen und Firmen, sowie mit Material zur Planung und Durchführung von Messen und Großveranstaltungen, wie dem Oktoberfest oder der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) 1983 in München.
Ausblick
Zu diesen und vielen weiteren Themen lassen sich im Bestand „Direktorium – Zentrale Registratur“ spannende Unterlagen recherchieren. Das Erschließungsprojekt wird im ersten Quartal 2023 abgeschlossen. Dann wird ein Großteil der Aktenüberlieferung aus dem Direktorium aus einem Zeitraum bis zum Ende der 1970er Jahre in der Nachweisdatenbank des Stadtarchivs München online recherchierbar sein.
Wer immer sich für die Zeitgeschichte Münchens interessiert, sollte seine Quellenrecherche im Bestand „Direktorium – Zentrale Registratur“ beginnen, bevor andere Bestände, etwa die der Fachreferate, und die umfangreichen Sammlungen nichtamtlichen Schriftguts des Stadtarchivs konsultiert werden.