Was bringt eine „Tochter aus gutem Hause“ in die Ehe ein? – Das Aussteuerbuch der Klothilde Schlagintweit aus dem Jahr 1911

In ländlichen Gegenden Bayerns war es noch bis in die 1950er Jahre üblich, dass die einheiratende Braut zusammen mit ihrer Aussteuer auf einem Kammerwagen zum Haus des Bräutigams gefahren wurde. Transportiert wurden auf einem (oder mehreren) Leiterwagen vor allem die Möblierung der ehelichen Schlafkammer, Bett-, Tisch- und Leibwäsche, Leinen, die Kinderwiege, Geschirr und Stickereien für die gute Stube. Der Schrank, der Kasten, das Bett und die Truhe wurden offen auf dem Wagen transportiert, so dass jedermann sehen konnte, was die Frau für den neuen gemeinsamen Haushalt mitbrachte und wie fleißig sie ihre Aussteuer gesammelt hatte. In der Stadt war dieser Brauch schon längst nicht mehr üblich, aber natürlich zählte auch dort das Herrichten der Aussteuer zu den wichtigsten Hochzeitsvorbereitungen. Umfang und Qualität der Aussteuer bildeten auch dort ein wichtiges Indiz für die Wohlhabenheit und den sozialen und wirtschaftlichen Status der Brauteltern und der Braut.

Die Münchner Bürgerstochter Klothilde Schlagintweit, die am 16. September 1911 vor dem Standesamt München IV die Ehe mit Karl Neureuther schließen sollte, hat hierüber sehr detailliert und penibel Buch geführt. Dieses von außen eher unscheinbare und mit Schmuckpapier eingehüllte Büchlein konnte das Stadtarchiv vor kurzem zusammen mit einem Kochbuch, das Klothilde ebenfalls vor der Hochzeit zusammenstellte, aus Privatbesitz geschenkt erhalten.

Einband des Aussteuerbuches von Klothilde Schlagintweit
Einband des Aussteuerbuches von Klothilde Schlagintweit
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Klothilde Schlagintweit stammt aus einer sehr angesehenen Münchner Familie. Der Vater Max(imilian) Schlagintweit (1849-1935) war ein Sohn des Augenarztes Dr. Joseph (Wilhelm August Joseph) Schlagintweit (1792-1854) aus dessen dritter Ehe mit Johanna Prentner (1813-1891). Er war damit ein jüngerer Halbbruder der als Forschungsreisende berühmt gewordenen drei Schlagintweit-Brüder Hermann, Adolf und Robert. Max wählte die Militärlaufbahn, machte sich jedoch auch als Balkanforscher und Autor eines Buches über die belgische Kolonie Kongo einen Namen. Max Schlagintweit ehelichte im Jahr 1880 Karolina (Lina) Sedlmayr (1860-1942), Tochter des Münchner Großbrauers Gabriel (II) Sedlmayr (1811-1891). Die Tochter Klothilde wurde am 26. Januar 1885 geboren.1

Waren mit der elterlichen Ehe bereits zwei bekannte Münchner Familien miteinander verbunden, so sollten sich die Bande der Familie Schlagintweit in beste Münchner Kreise durch die Verlobung der Tochter Klothilde mit Karl Neureuther noch einmal verdichten. Beim Bräutigam Karl Neureuther, geb. am 5. November 1886 in München, handelte es sich um den Sohn des Generalmajors Karl Neureuther (1838-1921) und dessen Ehefrau Maria, geb. Keller, Tochter eines Herzogl. Leuchtenbergischen Kabinettsrates. Bei dem Vater Karl Neureuthers sen. handelte es sich um den berühmten Historienmaler Eugen Napoleon Neureuther (1806-1882). Karl Neureuther jun. schlug ebenfalls eine militärische Laufbahn ein, allerdings bei der kaiserlichen Marine. Er hatte bei der Eheschließung mit Klothilde Schlagintweit den Rang eines Leutnants zur See.

Das Aussteuerbuch

Wie traditionell üblich, beginnt die Auflistung der Aussteuer mit der Leibwäsche. Für ihren Ehestand kaufte Klothilde beim Kaufhaus Roman Mayr unter anderem „3 D[ut]z[en]d Hemden“ und „1 ½ D[ut]z[en]d Nachthemden“.

Auflistung der bei Roman Mayr gekauften Leibwäsche.
Auflistung der gekauften Leibwäsche
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Insgesamt kam für den Wäschekauf bei Roman Mayr ein Gesamtbetrag von über 4.400 Mark zusammen. Eine Verkäuferin bei Roman Mayr hätte dafür vier bis fünf volle Jahresgehälter aufwenden müssen.

Zusammenstellung der Ausgaben für Leibwäsche, Bettwäsche, Handtücher, Tischwäsche, Küchenwäsche, verschiedene andere Wäschestücke und Vorhänge.
Zusammenstellung der Ausgaben für Wäsche
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Für das Wohnzimmer brachte Klothilde Schlagintweit neben Schränken, Kommoden, Tisch und Stühlen auch „1 alte Standuhr, 1 Perser-Teppich [und] 1 Glaslüster“ mit ein. Interessant ist der hohe Anteil „alter Möbel“ an der Ausstattung, wohl ein Hinweis darauf, dass sich das junge Ehepaar im „altdeutschen Stil“ eingerichtet hat.

Die Einrichtung des Wohnzimmers bestand aus einem altem Schrank, Glasschränkchen, drei alten Stühlen, einer alten Standuhr, einem Perserteppich, Vorhängen, einem Glaslüster, einem Schreibtisch, einem Sofa und zwei Stühlen und einem Fußschemel.
Das Inventar des Wohnzimmers und die dazugehörigen Auslagen
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Auch für die qualitätsvolle Ausstattung des Dienstmädchenzimmers hatte Klothilde Sorge zu tragen. Sie kaufte die Möbelstücke bei Johann Hügel in der Löwengrube.

Auch das Dienstmädchenzimmer wurde vollständig ausgestattet mit Bett, Waschkommode und dazugehöriger Marmorplatte, Tisch, Nachtkästchen, Stuhl, Spiegel, Kleiderschrank, Fusschemel, Patentmatratze, Vorhängen und Bettdecke, Weckeruhr, Bettvorlage und Waschgarnitur.
Auflistung der Einrichtung des Dienstmädchenzimmers
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Die Kücheneinrichtung besorgte die Braut bei der renommierten Firma Schüssel in der Kaufingerstraße 9. Eine Reihe von Tiegel, Pfannen und Häfen für verschiedenste Zwecke waren zu kaufen, darunter auch „1 Eierpfanne, 2 Omelettpfannen, 1 grau emaill[ierte]. Fischpfanne“.

Auflistung der Auslagen für die Kücheneinrichtung. Fleischtöpfe, Pfannen für Eier, Fisch und Braten, Rührschüsseln und Wasserkessel.
Auflistung der Auslagen für die Kücheneinrichtung
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Insgesamt gab die Familie Schlagintweit 18.000 Mark für die Aussteuer aus.

Zusammenstellung der Kosten für Wäsche, Kleider, Möbel, Porzellan und Glas, Kücheneinrichtung, Hauseinrichtungsgegenstände sowie Kosten Trinkgelder und Transport nach Kiel. Die Gesamtsumme betrug 18000 Mark.
Zusammenstellung der Ausgaben für die Aussteuer
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Schließlich listete Klothilde alle Auslagen auf, die für die kirchliche Trauung in Obergrainau und die Hochzeitsfeier im Hotel Badersee bei Grainau am 19. September 1911 verausgabt wurden. Wir lesen, das Hotel rechnete für 64 Gedecke ab, von den (Schaum-)Weinen waren 30 Flaschen Deinhard getrunken worden, sowie drei Flaschen Fachinger und 24 Flaschen Apollinaris Mineralwasser. Klothilde führte auch die Ausgaben für den Kirchenschmuck und die Sänger auf. „Cigarren f[ür]. Lehrer“ und „Wein f[ür]. Bürgerm[eister]“ sind ebenfalls notiert (insgesamt 7 Mark 50). Die Brautjungfern erhielten silberne Schalen überreicht und es mussten Trinkgelder verausgabt werden. Insgesamt kostete die Hochzeit 3.350 Mark 13 Pfennig.

Die Trauung fand am 19. September 1911 in Obergrainau und die Hochzeit am Badersee statt.
Trauung in Obergrainau und die Hochzeitsfeier am Badersee
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Zusammenstellung der Auslagen für das Hochzeitsmahl samt Auslagen für die Trauung.
Auflistung der Auslagen für die kirchliche Trauung und das Hochzeitsmahl
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Ausgaben für den Kirchenschmuck und die Sänger sowie „Cigarren f. Lehrer“ und „Wein f. Bürgerm(eister)“ sind ebenfalls notiert (insgesamt 7 Mark 50).
Ausgaben für den Kirchenschmuck und die Sänger sowie „Cigarren f. Lehrer“ und „Wein f. Bürgerm(eister)“ sind ebenfalls notiert (insgesamt 7 Mark 50).
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Die Brautjungfern erhielten neun silberne Schalen und weitere Personen Trinkgelder.
Aufzeichnung über die Geschenke an die Brautjungfern und weitere Trinkgelder
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Die Aufzeichnungen im Aussteuerbuch der Klothilde Schlagintweit stellen ein einzigartiges und beeindruckendes Zeitdokument dar. Die vielen Einzelposten geben darüber hinaus einen sehr guten Einblick in die bürgerliche Wohn-, Alltags- und Festkultur vor dem Ersten Weltkrieg.

Das Kochbuch

Das handschriftlich geführte Kochbuch wurde wohl ebenfalls in der Brautzeit erstellt und sollte der zukünftigen Ehefrau eine solide Basis für die Anforderungen eines größeren Haushalts bieten. Deshalb sind darin nicht nur Rezepte für Vor-, Haupt- und Nachspeisen niedergeschrieben, sondern auch umfangreiche Tipps und Handreichungen für die Ausstattung und den effektiven Betrieb einer Küche. Eingetragen wurde all dieses Basiswissen von Klothilde in ein Formularbuch der „Münchner Kochschule“. Es ist anzunehmen, dass Klothilde diese Schule, die laut Stadtadressbuch in der Liebigstraße 37 ihren Sitz hatte, auch selbst besucht hat. Das Buch umfasst 442 Seiten, am Ende folgen noch Nachträge der Tochter Annemarie. Möglicherweise hat Annemarie das Kochbuch mit in ihre eigene Ehe übernommen.

Clothilde Schlagintweit hatte ein Exemplar des Buches "Koch-Rezepte und Theoriebuch der Münchner Kochschule"
Das Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Viele Rezepte sind in Menüfolgen eingebunden, quasi als Gesamtkompositionen für mehrgängige Speisefolgen. Fehlen darf dabei nicht das Rezept für die Prinzregententorte, sozusagen die Krönung eines jeden Festmenüs. Danach mag es angezeigt sein, in geselliger Runde noch ein Glas Grog, Glühwein oder Punsch zu kredenzen.

Das Rezept für eine Prinzregententorte findet sich im Rezeptbuch unter der Nummer 128.
Ein Rezept für eine Prinzregententorte darf im „Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule“ nicht fehlen.
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Rezepte für Grog, Glühwein, Eispunsch und Römischer Punsch aus dem "Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule".
Rezepte für verschiedene Punsche aus dem „Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule“ Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Im 2. Teil des Kochbuches folgt eine umfangreiche Kompilation des Fachwissens für die erfolgreiche und kundige Hausfrau. Zuallererst ist an die richtige Auswahl des richtigen Brennmaterials für den Ofen, das in „Vegetabiles“ und „Fossiles“ Brennmaterial geschieden wird, zu denken. Beim Kochgeschirr wird in Emailgeschirr, Nickelgeschirr und Messinggeschirr unterschieden. Hinsichtlich Qualität und Reinigung ist allerdings zu beachten: „In Nickel macht Säure schwarze Flecken. Das Beste ist irdenes [Geschirr]. Das feuerfeste fr[an]z[ösisches]. ist nicht besser als das gewöhnliche, nur viel teurer“.

Der Theorieteil im "Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule". Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Theorieteil im „Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule“
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Das Brennmaterial wurde in Vegetabiles und Fossiles eingeteilt. Vegetabiles meint das Holz. Fossiles die Kohle. Das Holz wird in weiches und hartes Holz unterschieden. Schließlich wird die Leserin unterrichtet, wie Kiemholz und Holzkohlen hergestellt werden.
Beschreibung des Brennmaterials
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390
Die richtige Handhabe der Kochutensilien wie Ofen, Kochgeschirr und die Reinigung des Geschirrs mit den Putzmitteln findet sich im Theorieteil des Buches.
Anleitung zur richtigen Umgang mit dem Kochgeschirr im „Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule“ Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Wichtig für die Hausfrau sind grundlegende Kenntnisse über die verwendbaren und verwertbaren Teile des Schlachtviehs. Am Beispiel des Kalbs wird das anschaulich dargestellt. Die Kalbsfüße kann man etwa zu einer „Falschen Schildkr[öten] Suppe, zu Sulz od[er] gebacken“ verwenden. Umfassend dargestellt ist auch die Verwertung der inneren Organe: Für die Milz ist eine Verwendung für „Suppe, Würst oder Milzschnitten“ zu empfehlen. In einer eigenen Spalte vermerkte Klothilde Schlagintweit Preishinweise. So waren für einen Kalbskopf 7 bis 8 Mark zu begleichen, während der Kalbsschlegel mit 1,20 Mark pro Pfund veranschlagt wurde.

Im "Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule" findet sich auch eine Anleitung zum Zerlegen eines Kalbs. Die korrekte Bezeichnung der jeweiligen Teile, deren Verwertung und der damals aktuelle Kaufpreis finden sich in der Tabelle.
Im „Kochrezepte- und Theoriebuch der Münchner Kochschule“ findet sich auch eine Anleitung zum Zerlegen von Tieren.
Stadtarchiv München, DE-1992-FAM-1390

Zur weiteren Biografie des Ehepaares Karl und Klothilde Neureuther

Klothilde und Karl Neureuther verlegten ihren Hausstand gleich nach der Hochzeit nach Kiel. Im Ersten Weltkrieg war Karl Neureuther offenbar in den Marinestützpunkten Kiel und Bremerhaven stationiert. Er machte Karriere und ist in den Meldeunterlagen als Kapitänleutnant und später als Korvettenkapitän bezeichnet.

Das erste Kind Johanna wird am 4. August 1912 in Kiel geboren, die beiden nächsten Kinder Gottfried und Annemarie kommen in den Jahren 1914 und 1916 in Bremerhaven zur Welt. Gabriele Olga wird am 20. Juli 1917 als Münchner Kindl geboren. In den 1920er Jahren kehrte das Ehepaar nach München zurück. Die Familie hielt sich immer wieder in Garmisch-Partenkirchen auf, wo man ein Haus besaß. Klothilde Neureuther starb am 28. September 1953 in Garmisch-Partenkirchen. Ihr Ehemann gab im Jahr 1962 seinen Münchner Wohnsitz ganz auf und verzog nach Garmisch-Partenkirchen.

Quellenhinweise:

  1. Vielen Dank an Frank Richter für den Hinweis in den Kommentaren! ↩︎

2 Gedanken zu „Was bringt eine „Tochter aus gutem Hause“ in die Ehe ein? – Das Aussteuerbuch der Klothilde Schlagintweit aus dem Jahr 1911

  1. Maximilian Schlagintweit war ein Sohn von Joseph Schlagintweit aus dessen dritter Ehe und damit selber ein jüngerer Halbbruder der berühmten „Gebrüder“. Vielleicht ist mit Alois sein älterer Bruder Louis – ebenfalls aus Josephs dritter Ehe – gemeint? Die Geburtsdaten würden das nahelegen.

    • Vielen Dank für den Hinweis. Es ist richtig, Max(imilian) Schlagintweit war ein Sohn des Augenarztes Dr. Joseph (Wilhelm August Joseph) Schlagintweit (1792-1854) aus dessen dritter Ehe mit Johanna Prentner (1813-1891) und damit ein jüngerer Halbbruder der Forscherbrüder Schlagintweit. Bei Alois (Louis), geb. am 3.07.1845 in München, handelt es sich tatsächlich um den jüngeren Bruder von Max, ebenfalls aus der dritten Ehe des Vaters. Max war Trauzeuge bei der Eheschließung von Alois mit Mathilde Horn am 16. Juli 1894 in München (Standesamt München I, 1667-1894). Wir werden den Eintrag berichtigen.

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